Fotos: Evi Lemberger
Text: Katharina Schmidt
Stilla Moritz kam 1927 in Leopoldsreut zur Welt. Die 94-Jährige ist eine der letzten noch lebenden Bewohner des verschwundenen Dorfes. Sie erinnert den Alltag oben auf dem Haidelkamm – als ob es gestern wäre.
Familie und Alltag
Uns sind neun Geschwister gewesen. Aber zwei Buben sind klein gestorben, also sieben im Ganzen, drei Buben und vier Schwestern. Mein jüngerer Bruder ist in Russland gefallen und der zweite ist in Stalingrad vermisst. Viele Kinder zu haben, war damals normal. Beim „Tadil“ [Anm. d. Red.: Rufame von Thaddäus Madl] hatten sie 24. Aber von zwei Frauen. Die Tadil Frida lebt auch noch, die ist heute 95. Die hatten nur ein ganz kleines Haus, gegenüber vom Schulhaus ist das gestanden. Da haben sie noch Schindel gemacht in der Küche drin. Da ist ein gemauerter Ofen dringestanden, die zweite Frau hat recht gut kochen können, die kam aus Tschechien. 24 Kinder! Da haben sie unterm Bett kleine Betten gehabt zum Rausziehen, Radlbetten hießen die.
Wir haben nur ein Zimmer gehabt, in dem haben wir Geschwister geschlafen. Die Eltern haben in der Stube geschlafen. Der Vater in so einem Kammerl, da ist nur ein Vorhang gehängt, und die Mutter in der Stube. Jaja, da ist es freilich kalt gewesen. Das ist ja nur ein Holzverschlag gewesen in Leopoldsreut oben, wo wir geschlafen haben. Da haben wir einen Ziegel in den Ofen reingetan und den haben wir eingewickelt und uns ins Bett reingetan, dass man ein warmes Bett gehabt hat. Und in der Früh, da haben wir eh aufstehen müssen, da hat die Mutter schon raufgerumpelt mit dem Besenstil.
Lebensumstände
Draußen haben wir unser Klo gehabt. Im Winter sind wir in Stall rausgegangen. Der Vater und die Mutter haben einen Nachttopf gehabt, aber wir Kinder sind in Stall raus gegangen. Da war es wenigstens warm. Ich hab‘ mich mal gebadet im Stall draußen. Da bin ich 15 Jahre alt gewesen, hab‘ ich zum Vater gesagt, ich mag mich baden. Ja, wo möchtest du dich denn baden? Hab‘ ich gesagt, jetzt geh ich in Stall raus, da ist es wärmer. In der Stube drin da hab‘ ich auch nicht gemocht. Warmes Wasser haben wir gehabt. Da haben wir so einen Kessel gehabt in der Küche und das Wasser ist immer heiß gewesen. Aber mei, was hat man denn sonst schon gehabt? Wir haben kein Licht [Anm. d. Red.: Leopoldsreut war weder an die Strom- noch Wasserversorgung angeschlossen] nicht gehabt, eine Petroleum-Lampe haben wir gehabt oder eine Karbid-Lampe, aber sonst haben wir nix gehabt. Im Stall draußen haben wir so ein Laternderl gehabt. Als ich nach der Hochzeit Strom hatte, hab‘ ich mich nicht mal hinlangen getraut zum Aufschalten, weil ich mich gefürchtet hab‘. Man hat ja nix gewusst!
Lehrzeit
Ich hab‘ gesagt, ich würde einmal furt wollen und würde das Kochen lernen wollen. Dann bin ich auf Passau gekommen zu einer Apothekerstocher und einem Förster. Die haben alles gehabt, säckeweise Zucker und Mehl, alles unterm Krieg, was andere nicht gehabt haben. Da bin ich eine Zeit dort gewesen, da hat der Vater schon geschrieben, ich soll heimkommen, zum Heu heimfahren wird’s und zum Mähen. Naja, bin ich halt wieder heim, was tut man halt nicht. Da ist mir die Mutter schon entgegen gegangen, wie ich mit dem Koffer gekommen bin. Mei, jetzt kommst wieder, hat sie gesagt.
Haus, Hof, Arbeit
Wir haben vier Kühe gehabt, schöne Kühe, und ein Schwein und eine Geiß. Und Hühner, alles haben wir gehabt. Uns hat`s nicht schlecht gegangen unterm Krieg. Weil wir haben ein Fleisch gehabt. Ein Schwein ist geschlachtet worden auf Weihnachten, meistens drei Zentner schwer, aber der Vater hat eh nur den Speck gemocht. Wie es halt früher gewesen ist. Die Mutter hat gut gekocht, das muss ich schon sagen. Und wie ich heimgekommen bin aus Passau, sagt sie, so jetzt kannst du kochen und dann hab‘ ich kochen müssen.
Wir haben das größte Haus gehabt. Aber als meine Brüder in den Krieg eingerückt sind, haben wir nicht mehr so viel Vieh gehabt. Der Vater hat zu mir gesagt, mei, du musst da bleiben da. Der hat auch nimmer gekonnt, der ist 50 Jahre in den Wald gegangen zum Holzhauen, der hat nimmer gekonnt. Dann hab‘ halt ich Heu aufgelegt und geackert, das alles hab ich tun müssen, der Vater ist mit den Kühen gegangen. 15, 16 Jahre bin ich alt gewesen. Ich war 18, als meine Brüder nicht mehr heimgekommen sind ausm Krieg. Ich war die Jüngste von uns Geschwistern und die einzige, die noch da war. Alle andern sind nicht mehr da gewesen und meine Schwester, die in Weiden war, ist auch nicht so oft heimgekommen. Also waren nur noch meine Eltern und ich.
Um 6 hab‘ ich aufstehen müssen zum Kühe füttern. Wir haben vier Kühe gehabt, die hab‘ ich füttern und melken müssen, weil ich noch in die Schule gegangen bin. Da hatten wir eine Kuh, meine Mutter, wenn sich hingesetzt hat zu ihr, die hat sie weggehauen. Ich hab mir so ein breites Brettl gefunden und das hab ich ihr gezeigt und hab ihr‘s ein wenig rauf gehaut und mir hat sie nichts getan, wenn ich mich zu ihr gesetzt hab. Die Mutter hat‘s auch probiert, die Mutter hat‘s wieder weggehauen.
Gedroschen haben wir mit dem Dreschschlegel. Da hat man im Takt hauen müssen. Da hat der Vater gesagt, so jetzt „zualuusn” (Bayerisch: hör zu), hat er wieder gesagt. Oh mei. Mist fahren hab ich gar nicht gemocht (lacht). Das haben wir im Frühjahr getan, wenn der Schnee noch gewesen ist und Reif gewesen ist, dass man in der Höhe drüber fahren hat können ohne einzubrechen, da haben wir mit dem Schlitten den Mist weggebracht. Nur Haufen haben wir da gemacht, so Gruben im Schnee, dass wir ihn dort gehabt haben, da wo wir halt Kartoffeln angesetzt haben. Später hat man den Mist dann verteilt.
Schule
Die schönen Erinnerungen, das ist, als ich in die Schule gegangen bin. Der Lehrer Herzog hat recht viel auf mich gehalten. Ich hab‘ immer auf der großen Tafel vorschreiben müssen. Wenn‘s zum Turnen gewesen ist, dann haben sie um mich gestritten, weil ich bin immer flink gewesen und hab‘ mir überall helfen können. Im Winter sind wir Ski gefahren. Ich bin die einzige gewesen von den Dirndln, die mitgefahren ist [lacht]. Dann hat der Lehrer geheiratet und dann hab‘ ich auf den Buben geschaut und seine Frau hat dann schon immer runtergeschrien, Stilla, heute gibt’s Dampfnudeln, darfst herauf gehen. Und dann hab‘ ich beim Lehrer Dampfnudeln gegessen. Der Lehrer hat oben im Schulhaus gewohnt. Da sind drei Zimmer gewesen und die Küche, und unten ist die Schule gewesen.
In die Schule hab nicht weit gehabt, von einem Ende zum andern vom Dorf. Da ist niemand mitgegangen. Wir haben uns schon durchgestapft durch den Schnee im Winter. Und in der Schule drin ist ein Holzofen gewesen. Das Holz hat der Lehrer von den Bauern bekommen, da hat ein jeder ein wenig ein Holz hergegeben. Da ist es schon warm gewesen immer. Naja mei, und wenn der Lehrer reingegangen ist, Grüß Gott oder Guten Morgen. 25 Kinder werden wir schon gewesen sein. Aber am Ende sind nur mehr ich und der Heini in einer Klasse gewesen, das war ein Cousin von mir. Der ist da in der Ecke gesessen und ich bin da in der Ecke gesessen, weil wir immer abgeschrieben haben. Oft haben wir die Zettel schnell hin und her gegeben. Mittag ist Schluss gewesen. Ein oder zwei Jahre hat es eine Suppenküche in der Schule gegeben. Und am Freitag hat es immer einen Kakao gegeben und ich hab‘ den Kakao nicht gemocht. Den mag ich heute noch nicht.
Mit dem Singen hat er‘s so stark gehabt, der Lehrer. Einen Jodler haben wir lernen müssen und der ist halt immer nicht zusammengegangen. Falsch angefangen. Da hat er gesagt, da müssen wir wieder aufhören, lernen wir ein anderes Lied. Der Lehrer ist schon geschickt gewesen. Und die Tochter von dem Lehrer, die Hilde, die ruft mich heute noch alle Monate an. Mei, Stilla, wie geht’s dir denn…
Der Geier Otto, der hat oft den Stecka [Anm. d. Red.: Tatzenstock] durchgeschnitten, weil er immer recht zugehauen hat, der Lehrer. Er hat mit dem Stecka auf die Hände gehaut und der er halbe Stock ist runtergefallen. [lacht]
Winter
Das Skifahren hab‘ ich gelernt, weil der Vater hat mir Ski gemacht mit so eine Lederbindung, dass ich hineinschlüpfen hab‘ können. Der Vater hat uns alles immer gemacht, was ein wenig gegangen ist. Wie die Spiele, alles, dass wir ein wenig eine Abwechslung gehabt haben. Schnee haben wir gehabt, sieben, acht Meter hoch. Bis in den Dachboden hinauf ist der Schnee gelegen. Wir sind vom Dachboden rausgestiegen und oft, wenn der Schnee recht locker gewesen ist, ist man reingefallen, dass dich die anderen nimmer gesehen haben. Ich weiß noch, es ist auf den Nikolaustag gewesen, da haben die Buben über die Straße rüber von einem Haus zum anderen einen unterirdischen Gang gemacht. An Nikolaus, Anfang Dezember! Wenn wir im Winter irgendwohin gegangen sind, haben wir mit den Ski fahren müssen. Oh mei, oh mei. Ich weiß noch, Anfang Mai, am 10. Mai [Anm. d. Red.: 1945] sind die Amerikaner gekommen, da hat es so stark geschneit, da hat es 20 Zentimeter Schnee gehabt. Dann hat mein Bruder – mein Vater hat ein wenig ein Blasenleiden gehabt – aus Frankreich hat er ihm zwei warme Unterhosen geschickt. Die haben wir gesucht, derweil haben sie die Amerikaner schon gehabt. Ja, die hat auch gefroren, ist eh klar. In die Schule haben über Schneewehen gehen müssen. Wir haben nur Holzschuhe gehabt. Da hab‘ ich mal einen Holzschuh verloren und bin nur noch mit einem heimgekommen. Da hat die Mutter geschimpft. Der Vater hat gesagt, geh, tu dich runter, einen solchen machen wir wieder und im Frühjahr finden wir ihn schon. [lacht] Ich hab‘ mir nichts gedacht, wenn‘s wieder geschneit hat, wir haben uns gefreut, da haben wir gesagt, das geht schon, haben wir eine Arbeit wieder zum Schneeschaufeln, da haben wir dann alle zusammengeholfen. Durchs Dorf haben die Männer geschaufelt, dass die Kinder in die Schule haben gehen können.
Essen
Fleisch haben wir ja nicht viel gehabt - von Bischofsreut vom Metzger haben wir manchmal ein Fleisch geholt. Und ein Schweiners haben wir gehabt, weil auf Weihnachten ist geschlachtet worden. Da hätte ich das Blut rühren müssen. Aber mir ist um die Sau so hart gewesen - ich hab die Sau ja jeden Tag gefüttert. Die hat mich schon begrüßt, wenn ich in Stall reingegangen bin. Darum hat sie mir so dabarmt [Anm. d. Red.: leid getan], wie die an Weihnachten geschlachtet worden ist. Mei Mutter wollt, dass ich das Blut rühren soll, aber das hab ich nicht gekonnt - die hat mir so dabarmt. Da hab i gsagt, lassts des Bluat einfach laufa...
Das Fleisch haben wir in eine Sur getan und dann ist das geräuchert worden. Und da hat man den ganzen Winter ein Geräuchertes gehabt. Da hat man runterschneiden können und hat Reibeknödl [Anm. d. Red.: Kartoffelknödel] gemacht dazu, das ist immer gut gewesen. Und ein Sauerkraut haben wir selber eingemacht, weil Kraut haben wir auch gehabt. Und Kartoffeln in Hülle und Fülle, schöne Kartoffeln haben wir immer gehabt. Und Butterschmalz haben wir gehabt, ein Butterbrot haben wir allerweil gehabt und die Mutter hat eine Marmelade gemacht auch. Aus Schwarzbeeren, da hat es so viele gegeben, in Bergen, ach so viele. Ribisl [Anm. d. Red.: Johannisbeeren] auch, und weißt, was so gut gewesen ist, der Radi [Anm. d. Red.: Rettich]. Mei, den besten Radi haben wir immer gehabt, weil alle gesagt haben, wenn Fremde gekommen sind, mei, ist der Radi gut. Dem hat das Klima gepasst da oben. Aber mit dem Getreide war’s schwierig. Das Korn haben wir noch heimgebracht, aber den Hafer hat es uns verschnieen. Den hätten wir für die Hennen gebraucht, aber der ist nichts geworden. Brot haben wir selber gemacht, da hab‘ ich schon kneten müssen in der Früh. Da haben wir uns im Herbst so und so viel Mehl geholt, mit einem Pferd haben sie es hinauf gebracht von Grainet. Obwohl ich hab‘ auch oft einen halben Zentner aufm Buckl gehabt und hab‘ eine Stunde weit gehen müssen. Mehl, Zucker, Gries, Salz, das hat man zugekauft. Des andere haben wir gehabt. Den Schweinebraten hat meine Mutter ganz gut gemacht. Und Reibeknod hat sie auch gute gemacht. Den Schweinebraten muss man halt schön anschneiden, dann die Zwiebel dazu tun und Pfeffern, Salzen. Bei den Apfelreinstrizaln [Anm. d. Red.: Kartoffelteig mit Äpfeln gefüllt] ist richtig viel Schmalz drin, die werden in der Reine gemacht und auf d‘Letzt muss bissl eine Sahne, bissl ein Fett dazu und das lass ich zerlaufen. Die sind gut, die mag ein jedes. Und der Holzofen ist ganz wichtig. Für den Schweinebraten nur der Holzofen!
Dorfleben
Also das ist so ein Zusammenhalten gewesen. Die, wo noch lebt, die sagt immer, Stilla, wir haben es nicht so schön gehabt, aber schön ist es gewesen bei uns, allerweil lustig. Da haben welche wieder Federn geschlissen [Anm. d. Red.: Federn ihrer Kiele entledigt] und die Tadil, da sind drei Buben da gewesen, haben Ziehharmonika gespielt und dann hat‘s noch einen Tee gegeben und einen Kuchen, einen einfachen. Und oft haben wir getanzt. Die Buben haben auf d‘Nacht immer durchs Dorf gesungen, mei, die haben so schön singen können, die Tadil-Buben. Zugharmonie haben sie gespielt und so sind sie durchs Dorf gezogen, das ist immer schön gewesen. Da hat eins dem anderen geholfen. Wie einem Nachbarn, dem hat‘s das Dach davon, der hat ein Blechdach gehabt. Wir hatten ja auch kein fließendes Wasser, das Wasser ist über Holzleitungen vom Haidel runtergekommen und wenn’s zum Rohre bohren gewesen ist, da haben sie schon zusammengeholfen immer.
Hilfe holen und sich selber Helfen
Für den Winter hat die Hebamme meine Mutter abgerichtet. Sie hat gesagt, wenn ich nicht so bald komme, dann gehst du hin. Dann haben sie die Mutter immer geholt, wenn ein Kind gekommen ist. Meine Mutter, die hat auch so Salben gemacht. Mein Vater hat sich mal an der Hand alles auseinandergeschnitten, da hab‘ ich gesagt, mei, jetzt darfst zum Doktor gehen. Und die Mutter sagt, bi stad [Anm. d. Red.: sei still], das heilt schon wieder zusammen. Und der Vater hat vom Baum, da wo das Pech runterläuft, das hat er heimgebracht, ganz weich noch das Pech, und da hat die Mutter dann Butter reingetan und allerhand Zeug noch. Und die Salbe, die hat allerweil geholfen. Wenn wir hingefallen sind als Kinder ist das gleich wieder geheilt. Aber ich weiß nicht, was sie da alles reingetan ha. Und für die Kühe, da sind die Leut‘ ausm Dorf auch immer zu der Mutter gekommen, hast du denn etwas? Wenn was gewesen ist, dann hat man schon immer fest zusammengeholfen, das wird schon wieder. Mein Bruder hat Lungenentzündung gehabt und da ist dann der Hegewart gekommen, der Doktor von der Freyung. Der ist mit den Ski gekommen, weil den haben wir gut gekannt. Im Forsthaus gab’s ein Telefon, mit dem haben wir angerufen.
Spiel und Arbeit
Ich hab‘ nicht Zeit gehabt zum Spielen. Ich bin immer eingespannt gewesen. Und ich habe eh arbeiten mögen. Wenn mir der Vater gesagt hat, das müssen wir tun, naja, hab ich gesagt, dann haben wir das halt getan. Und ich hab‘ eine Kraft gehabt. Ich hab‘ mit den Buben Fußgehakelt. Einen jeden hab‘ ich übergeworfen, weil da bin ich flink gewesen. Mit dem Ball werfen, da bin ich weiter gekommen als die Buben.
Kirche
Kirche ist auch gewesen unter der Woche, nur am Sonntag nicht. Wenn der Pfarrer in die Schule gekommen ist, hat er eine Kirche gehalten, dann sind wir auch gegangen. Der Pfarrer hat immer verlangt, dass wir ihm die Hände bussln. Ich hab‘ das nicht mögen und oft hat der Lehrer zu mir gesagt, du geh in die Schwamma [Anm. d. Red.: Pilze suchen]. Ich bin dann in die Schwamma gegangen, wie die anderen dem Pfarrer entgegen gegangen sind. Ich hab‘ dem Lehrer dann ein paar Schwamma gebracht, weil ich hab immer recht viele gefunden.
Fortgehen
Aus Leopoldsreut rausgekommen sind wir, wenn wir oft in die Haberau die Kühe zum Stier geweist haben. Der hatte irgendwann keinen Stier mehr, dann hab‘ ich sie auf Herzogsreut runterweisen müssen. Und eine, das ist so eine Damische gewesen, die hat gar nicht gehen mögen. Da hat mir einer gesagt, hol ein Streichholz und tu‘s ihr hinten an Arsch und, dann ist sie von ganz allein gegangen. [lacht] Ein bissl hat sie es, mein ich, gebrannt. Jetzt gehen wir, hab ich gesagt und da ist sie schon davon. Und in die Kirche nach Grainet oder mit dem Rad auf Bischofsreut sind wir gekommen. Nach Passau bin ich gern furt gegangen, hab‘ mir gedacht, ich möchte jetzt das Kochen lernen, weil die Mutter hat auch oft das Gleiche gekocht.
Kriegsende
In Leopoldsreut oben hat der Vater recht getrieben[e1] [KSBHUM2] , da haben wir einen Radio gehabt auf d’Letzt. Keine Zeitung hat‘s nicht gegeben. Wenn wer gekommen ist, die haben das und das gesagt, dann hat man wieder wars gewusst. Die Hitlerzeit, das hat uns der Lehrer immer erzählt. Da haben wir uns schon ausgekannt, so einen Volksempfänger hab’s auch in der Schule. Und als die Amerikaner gekommen sind, das haben wir schon gewusst, die Tadil Frida, eh die wo noch lebt, die hat das weiße Leintuch rausgeholt und hat’s hinausgehängt. Zuerst sind sie mit den Panzern durch und dann haben sie gefragt und geschaut, ob Soldaten da sind. Die ersten, die gekommen sind, sind nicht grad so freundlich gewesen. Einer wollte mir an die Brust fassen, da hab‘ ich grad etwas gewaschen, das hab‘ ich ihm so rumgehauen. Ich hab‘ mir nicht mal mehr getraut, allein aufs Klo zu gehen, die 14 Tage, die die da waren.
Eltern
Die Eltern sind daheim geblieben bis 1962. Das sind die letzten gewesen, die weg gegangen sind. Als ich nach meiner Hochzeit herunten gelebt hab, bin ich alle Sonntag wieder hinauf gegangen. Ist ja nicht so weit gewesen. Und ich wollte wissen, wie es ihnen geht, da hat man keine Ruhe nicht gehabt. Mein Vater, der ist 87 Jahre alt gewesen, als als sie aus Leopoldsreut wegziehen haben müssen. Der hat dann noch in die Freyung ziehen müssen. Da hat er allerweil gesagt, da bleib ich nicht. [Tränen] Der ist aufgewachsen da oben und oft hat er gesagt, kein Gockel kräht nicht, keine Henne sieht man nicht und nichts – das ist kein Leben nicht. Nur ein halbes Jahr hat er noch gelebt draußen in der Freyung und dann ist er gestorben. Und die letzte Zeit, da ist er nimmer aufgestanden und gar nix mehr. Die Mutter ist eher weggekommen. Die hat gesagt, mei, jetzt hab‘ ich halt ein Licht und eine Ordnung.
Ich hab‘ immer gesagt, unser Haus ist nicht so schlecht gewesen, ich weiß nicht, dass sie das alles so abreißen haben müssen. Ich weiß nicht, ob der Keller noch ist, Überreste vielleicht, wir haben einen schönen Keller gehabt. Im ganzen Dorf ist kein Keller nicht gewesen. Bei uns schon, weil das ist davor das Wirtshaus gewesen.
Jetzt im Sommer bin ich mit der Erna [Anm. d. Red.: eine ihrer Töchter] das letzte Mal oben in Leopoldsreut gewesen. Ich weiß nicht, wie ich sagen soll… es ist kein Haus und nix mehr da. Die Schule ist noch da und die Kirche…
Ein neues Jahr, eine zweite Auflage und vor allem viele neue Lesungen. Start ist am 1.4. in Sankt Englmar im wunderschönen Prellerhaus: Gespräch und Lesung mit einigen Autoren und Kristina Pöschl vom Verlag. Eintritt ist frei. Es wird gelesen, geratscht und hoffentlich ein bisschen gefeiert. Ein besonderes Schmankerl- Tobias Probst an der Harfe und Zither.
Release Party des Buches "15 Gipfel" am 27.5.2022 um 19 Uhr in der Roten Res.