Aus Liebe zum Glas

 

Text: Katharina Schmidt

Foto: Evi Lemberger

 

Max Freiherr von Schnurbein führt seit 2006 die Kristallglasmacherei Theresienthal. Vor 20 Jahren stillgelegt, wird am Fuße des Falkenstein heute wieder Glas für Liebhaber auf der ganzen Welt hergestellt. In feiner Handarbeit von Glasmachern, Schleifern, Graveuren und Malern.

 

Max, was bedeutet die Kultur der Glasmacherei heute noch für den Bayerischen Wald?

Von Schnurbein: Die Glasmacherei ist eine übrig geblieben Industrie. Wir sind ein Relikt einer früher sehr großen Industrie mit sehr viel Glashütten und Glasmachern. Über viele Jahre gab es keine Perspektive für den Nachwuchs. Die wenigen Arbeitsstellen waren belegt, deshalb haben die Eltern zu ihren Kindern gesagt: „Geh‘ bloß nicht ins Glas“. Dabei war das Glas Jahrhunderte lang ein sicherer Arbeitsplatz mit sehr vielen Vorteilen. Glasmacher hatten gegenüber der ländlicheren Bevölkerungen Aufstiegschancen. Nur durch dein Geschick hast du ein Meister werden können, und ein Meister hat einen eigenen kleinen Landwirtschaftsbetrieb bekommen, damit er bleibt. 

 

Wann war die Hochzeit der Glasmacherei?

Die massive Dominanz war gebrochen mit den Maschinenfertigungen in den 1960er und 1970er Jahren. Davor muss man von einem offenen Ende in die Vergangenheit sprechen. Glas ist schon in der römischen Zivilisation bewiesen. Die Produktion war standortabhängig. Es muss Quarz da sein, muss Holz da sein, es muss Gefälle da sein, also bieten sich die Mittelgebirge an. 

 

Und heute? 

Meine Mannschaft der Glasmacher am Ofen ist um die 60 und einer ist dabei, der ist 23. Um diese jungen Talente muss man kämpfen. Aber der Generationswechsel ist eingeleitet. Bei der Kaltveredelung ist er schon vollzogen. Der Schleifermeister ist 25, die zwei Graveurmeisterinnnen sind 23 und 25. Unsere Malermeisterin ist etwas jünger als ich. Wir sind also auch sehr weiblich geworden.

 

Was muss ein Glasmacher können?

Das ist ein Beruf, der viel Kraft, viel Ausdauer braucht. Im Ofen ist es 1200 Grad heiß, die Hitze strahlt nach außen ab. Die Glasmacher sind die ganze Zeit in einer Atmosphäre wie ein Stahlschmelzer. Sie müssen aber gleichzeitig sehr viel filigrane, detailreiche, hochwertige Dinge machen. Da wird der Charakter gefördert und gefordert, genauso Fokussierung und Konzentration, und das noch dazu im Team. Die Arbeit geht Hand in Hand, die Glasmacher geben sich permanent die halbfertigen Teile in die Hand, die heiß bleiben müssen, weil sie sonst abbrechen. Das ist eine anspruchsvolle Tätigkeit. 

 

Wie entsteht so ein Glas?

Man hat immer die lange Glasmacherpfeife in der Hand, fängt mit wenig Glas an, das man vorformt und ein wenig aufbläst. Das ist das „Kölbl“, das Herzstück des Glases, eine runde, kleine, hohle Kugel. Die muss dann ein bisschen abkühlen, das passiert mit Druckluft mittlerweile. Dann wird das Kölbl im Ofen mit mehr Glas umwickelt. Die größeren Glasposten werden in „Modl“, wassergetränkte Holzformen aus Buchenholz, geblasen. Wenn das heiße Glas in diese Negativformen reinkommt, verdampft das Wasser sofort, kühlt das Glas und zwischen Glas und Holzform bildet sich ein Dampffilm. Dieser Dampf gestaltet die Oberfläche des Glases. Und es gibt eigentlich nichts Glatteres oder Feineres als diesen Dampf. 

 

Wie geht es dann weiter?

Nach dem Einblaser kommt der Meister. Der sitzt in einem extra angefertigten Stuhl und legt sich die Pfeife mit dem Glas quer über die Oberschenkel. Da wird das Glas immer weitergedreht, ein anderer gibt dem Meister Einzelteile für den Stiel und den Boden, die er aufschmelzt. Das Rohglas ist dann fertig. Das geht ins Kühlband und fährt da zweieinhalb Stunden durch. Es braucht eine ganz langsame Abkühlkurve, die beginnt mit 500 Grad und wird immer kühler bis runter auf 200 Grad. Wenn es hinten rauskommt, kann man es anfassen. Dann beginnt die Kaltveredelung. Die Kappe wird abgesprengt, das macht man mit einer diamantbesetzten Ritznadel. Dann hat man zum Beispiel ein Weinglas mit einem scharfen Rand. Den muss man dann noch fein machen mit einem Schleifrad und polieren.  

 

Wie viel Arbeitszeit steckt in einem Glas?

Ein einfaches Glas ist nach dreieinhalb bis vier Minuten gemacht. Bei einem Überfangglas, also ein zweischichtiges Glas, außen eine farbige Schicht, innen eine klare Schicht, muss man eigentlich zwei Gläser machen. Das dauert nicht doppelt so lang, sondern vier Mal so lang. Und dabei braucht es sehr viel Geschick und Konzentration. Wenn beim Einblasen ein Fehler gemacht wird, sind die acht bis neun Minuten Vorarbeit zerstört. Da muss alles stimmen. Die Gravur braucht in etwa eine dreiviertel Stunde bis Stunde. Das geschliffene Glas braucht ungefähr eine Stunde oder mehr. 

 

Diese Gläser entstehen in einem unglaublich fragilen Prozess, das ist Perfektion von Handwerk. Wie lässt sich das lernen?

Dazu tragen Disziplin und Können bei. Die Perfektion ist aber auch vorgegeben durch den Prozess. Wenn man das Glas aus dem Ofen holt, ist es erst zähflüssig wie Honig. Je länger es draußen ist, umso härter wird es. Die Zeit, in der es bearbeitet werden kann, ist kurz, da muss jeder Handgriff sitzen, das ist Teil von diesem Können. Das ist anders als bei einem Schnitzer oder Bildhauer. Beim Glasmachen hat man ein Material, das einen treibt. Und deswegen gibt es eigentlich nur eine Lösung und die ist genau eingespielt. Wenn man genau hinschaut, sind alle Gläser doch noch unterschiedlich, das ist das Schöne. Daran kann man erkennen, ob Maschine oder Mensch am Werk waren. 

Aber wie üben die Lehrlinge das ganz praktisch?

Indem sie das Glas schinden, so sagen sie es selber. Das heißt, sie holen Glas aus dem Ofen und probieren was. Das war früher der überhebliche Ausdruck des Meisters, dass der Lehrbub „das Glas schindet“. Das ist die Gelegenheit, Stücke dem Meister zu zeigen und so kann sich das entwickeln. Handwerkliches Geschick ist natürlich das A und O, zwei linke Hände nutzen da nichts. 

 

Welche Rolle spielt die Geschichte von Theresienthal und der Glasmacherei im Bayerischen Wald beim Verkauf der Gläser, die ja durchaus Luxusprodukte sind?

Wenn Hintergrund da ist, ist eine Glaubwürdigkeit da und da ist es hilfreich, dass die Gesamtgeschichte stimmig ist. Angefangen mit König Ludwig I., der gesagt hat, ich brauch‘ für mich persönlich ein Luxusglas, das französische mag ich nicht mehr, ich will den Napoleon am liebsten vergessen, ich brauche ein bayerisches Glas. Er hat aber keines gehabt, es hat nur Hütten gegeben, die Wirtshausglas gemacht haben, also hat er sich die besten Glasmacher aus Böhmen geholt, die dann eine hochwertige Manufaktur aufgebaut haben. Und wenn der König das Glas aus Theresienthal gemocht hat (Anm. d. Red.: auch das russische Zarenhaus war Kunde), baust du dir schrittweise Glaubwürdigkeit auf. Heute haben wir Kunden auf der ganzen Welt. 

 

Wer sind diese Kunden und was zahlen sie für die Theresienthaler Produkte?

Die günstigsten Gläser sind so um die 100 Euro. Das geht hinauf bei Einzelobjekten bis zu 8000 oder 9000 Euro für Vasen oder Kombinationsobjekte. Wir haben zum Beispiel ein riesiges Windlicht, das kostet 4000 Euro und wird auch regelmäßig gekauft. Entscheidend ist nicht, was es kostet. Entscheidend ist, dass das besondere Erscheinungsbild und die Nutzbarkeit des Produkts sein Geld wert sind. So einfach und so kompliziert. Denn das muss man bei jedem Produkt hinkriegen. Wir haben nicht die Möglichkeit, billiger zu sein als andere, wir können nur die Flucht nach vorne antreten. Man muss Leute finden, die das kaufen und das sind in der Tendenz schon Leute, die schon alles haben. Da liegt wiederum eine andere Herausforderung, denn ein wesentlicher Grund, warum jemand reich wird, ist, dass er das Geld nicht gern hergibt und in ein sehr aufwändig und übertrieben stilisiertes und mit großem Aufwand veredeltes Produkt investiert. Aber jemand der viel Geld hat, empfindet es schon als Geschenk, dass er sich was leisten kann. Also leistet er sich hin und wieder etwas wirklich Besonderes, wo er weiß, das ist sein Geld wert und es gefällt ihm wirklich.

 

Wie findet ihr eure Kunden oder eure Kunden euch?

Es gibt eine Reihe von Einzelhändlern auf der ganzen Welt, die diese Kundschaft haben, die sich eben was Besonderes gönnt. Viele davon kennen uns schon viele Jahre, viele Zwischenhändler gewinnen wir dazu über Werbung auf Messen. 

 

Ist Theresienthal nach wie vor ein Name in der Glasliebhaber-Szene und spielt das eine Rolle?

Das spielt teilweise eine Rolle. Wir haben im Ausland wirklich gute Kunden, Zwischenhändler, die sehr reiche Endkunden haben. Und da ist es wichtig, dass ein Vertrauensverhältnis da ist. Der Kunde kommt teilweise mit seinem Inneneinrichter und richtet dann eine ganze Villa, eine ganze Yacht ein. Bei diesen Einzelhändlern ist es also wichtig, dass die unsere Gläser vorstellen und sich auskennen. Unsere Konkurrenten sind groß, riesige Luxusfirmen und -label. Wir sind halt ein kleiner „Waidler“. Das muss man natürlich ausgleichen, der Zwischenhändler muss sagen, den komischen „Waidler“ kann ich auch nachts um 10 anrufen und ich kann mich auf ihn verlassen. 

 

Und du bist dann auf der ganzen Welt unterwegs, um die Zwischenhändler zu schulen?

Genau. Wir haben viele Produkteigenschaften bei unseren Gläsern, womit wir unseren direkten Konkurrenten überlegen sind. Eben diese reine Handarbeit. Die Oberflächen sind handpoliert, nicht mit Chemie. Wenn du ein Glas chemisch polierst, muss das Glas relativ dick sein. Bei uns fühlt sich das anders an. Wenn du durchschaust, siehst du bei mit Säure polierten Gläsern Schlieren, bei uns nicht. Das sind so kleine Unterschiede und wenn sie am Tisch stehen, siehst du es. Da glänzen und leuchten unsere Gläser schöner. Aber da musst du die Händler drauf hinweisen, damit die sagen können, die machen was Gescheites die Burschen und Madln im Bayerwald.

 

Wo überall kenn ich Theresienthaler Produkte kaufen?

Hier natürlich in Theresienthal. Und in London, New York, in Palm Beach, in Aspen, Sankt Moritz. Aber auch München, Bielefeld, Hamburg, Wien. 

Machen wir einen Sprung zu dir als Person. Du bist hier aufgewachsen, aber dein Lebensweg hat dich in die weite Welt geführt, London, Frankfurt, ein Dasein als Banker. Und dann bist du hierher zurück gekommen nach Zwiesel, gerade dann, als Theresienthal am Boden lag. Warum? 

Es lag nicht ganz am Boden. Das hab‘ ich zumindest gemeint. [lacht] 2001 ist die Glashütte zugesperrt worden, dann waren ein paar Jahre Flaute, die Glasmacher, Schleifer, Graveure arbeitslos. Aber es hat einen alten Meister (Anm. d. Red.: Max Hannes) gegeben, der hat die Leute bei der Stange gehalten, und es fertiggebracht, dass mehrere Leute aus München, die in großen Stiftungen saßen, gesagt haben, schauen wir uns Theresienthal mal genau an. Die Stiftungsleute waren davon gefesselt, haben es in die Höhe gebracht und haben dann feststellen müssen, so leicht verkaufen sich die Produkte doch nicht. Dann bin ich hergekommen und habe gemeint, das ist eigentlich schon alles stabil, jetzt müssen wir noch ein bisschen wachsen und dann passt die Geschichte. Mein Leben als Banker war kein schlechtes Leben, im Gegenteil. Aber als Banker gehst du sehr kopfgesteuert vor und irgendwann sagst du, jetzt muss ich mal ins reale Leben. Da sind wirklich viele, die sagen, da hau ich ab. Deshalb war es nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass ich was anderes mache. Der Rahmen muss halt stimmen. Für mich war‘s ideal, weil ich hier daheim bin, ich trotzdem einen vielversprechenden Markt hab‘, trotzdem sehr international unterwegs bin. Ich bin ein „Waidler“, ich fahr nicht in Urlaub, aber rumkommen würd‘ ich schon ab und zu gern. [lacht]

 

Aber hattest du irgendeine Ahnung von der Glasmacherei, eine Beziehung zum Glas? 

Ich hab‘ immer schon tief ins Glas geschaut. [lacht] Es hatte einen gewissen persönlichen Aspekt. Es hat eine Erinnerung wachgerufen. Ich habe als Kind erlebt, wie der mittlerweile verstorbene Stefan Poschinger erzählt hat, er war in New York, in Paris. Mein Schluss war, der hat eine Glasfabrik und der kommt raus, also, wenn du raus willst, dann musst du ins Glas. Das war also so eine Art Kindheitstraum, der aber nicht aktiv war, aber der auch noch dazu gekommen ist. Viel hat also zusammengepasst. Und es war natürlich eine Herausforderung.

 

Wie waren die 15 Jahre von deinem Start als Geschäftsführer bis jetzt?

Ich hab‘ am Anfang eine große Verunsicherung gehabt. Da war eine Riesenmannschaft da, ein Wasserkopf mit Vertrieb und allem möglichem, Leute, die es besser gewusst haben als ich und Leute, die im Rahmen des Niedergangs dabei waren, es damals schon besser gewusst haben und es dann noch besser wussten. Am Anfang war das wirklich zum Verzweifeln, da hab‘ ich Lehrgeld bezahlt. Dann ist die Finanzkrise 2008 gekommen, damit war die erste Grundplanung komplett Makulatur, weil die Welt untergegangen ist. 2010 war die Gegenbewegung, es ist richtig bergauf gegangen, aber mir aber auch die Kosten davongerannt, auch weil wir zu viele Leute hatten. Wenn das Wachstum so weiter gegangen wäre in einem Schwung, wäre es nicht schlecht gewesen. Aber dann ist der Einzelhandel auf ein Drittel zusammengeschrumpft, Märkte sind verschwunden. Diese Dynamik war weg. Deshalb haben wir uns auf Russland, China und den arabischen Raum konzentriert. Dann kam der arabische Frühling. 2014 ist die Krimkrise gekommen, die ganzen russischen Aufträge sind storniert worden. Bis wir dann irgendwann gesagt haben, wir schauen nur noch auf das, was wirklich gesund ist. Weg von den Kleptokraten hin zu den Demokraten. Deshalb sind wir jetzt nur noch in westlichen Märkten aktiv unterwegs. Man ist da ehrlich dankbar für den Kapitalismus, die Berechenbarkeit, die Zuverlässigkeit von Rechtssystemen. 

 

Inwieweit war für den Einstieg in Theresienthal das Motiv auch, das kulturelle Erbe des Bayerischen Waldes weiterzutragen?

Man trägt ja nicht die Asche weiter, sondern man erhält das Feuer. Das ist ein positiver Aspekt bei dem Ganzen. Du machst halt wirklich was Sinnvolles, was Schönes, auch etwa mit Perspektive für deine eigenen Kinder. Ehrlich gesagt, ist es erfahrungsgemäß gescheiter man hat irgendwas im Kopf und sagt, das geht, egal ob in Hinterbayern, Vorderbayern oder in China. Weil da kämpft man einfach länger, als wenn man es nur halbscharig macht. Und wir haben einen Modus gefunden, wie es funktioniert.

 

Abschlussfrage. Hast du die Theresienthaler Gläser auch bei dir daheim in Verwendung?

Als Kind haben wir die gehabt, aber die zweite Wahl. Und jetzt trinken wir hauptsächlich aus Mustergläsern, die gemacht, aber und nicht weiterentwickelt worden sind. [lacht]