„Der Kalte Krieg war heißer, als manche glaubten“

Fotos: Martina Dobrusky

Text: Michael Gruber

 

Im Auftrag der Army Security Agency ASA spionierte Charlie Hess (76) am Hohenbogen den Warschauer Pakt aus. Gefunden hat er ein Paradies auf Erden.  

In Ihrem Stammlokal, dem Gasthof Schönblick, hängt ein Foto von Ihrem früheren Arbeitsplatz. Es zeigt amerikanische Militärfahrzeuge mit einer Abhörantenne auf dem Hang des Hohenbogens. Was geht da in Ihnen vor, wenn Sie das Bild sehen?

Charlie Hess: Das Foto habe ich gemacht. Das Bild hat seine Tücken. Erkennen Sie es?

Das Kennzeichen des Militärfahrzeugs ist sichtbar?

Charlie Hess: Nein, das ist es nicht. Stellen Sie das Bild auf den Kopf und schauen Sie auf das Dach des Fahrzeugs. Können Sie da was lesen?

 

Drei Buchstaben stehen da, F.T.A. Ist das der Name ihres Regiments?

Charlie Hess: Es eine Abkürzung für Fuck The Army. Wir haben das auf das Dach geschrieben, ich war damals auch beteiligt. Entstanden ist das 1968, während des Vietnamkriegs und dem Prager Frühling. Der einzige General der ASA in Europa sollte dafür mit dem Hubschrauber zum Hohenbogen fliegen und mir sowie den Kollegen ein Abzeichen verleihen. Wir dachten, der General brauch einen kleinen Denkanstoß. Die Lastwagen waren alle weiß lackiert, um die Hitze abzuweisen. Wir hatten olivgrüne Farbe übrig, dann haben wir F.T.A. auf das Dach gepinselt. Der General ist mit Hubschrauber von Frankfurt aus gekommen und hat das gesehen. Der Hubschrauber ist gelandet, der General hat unserem Offizier die Schachtel mit den Auszeichnungen in die Hand gedrückt, ist schnell wieder eingestiegen und zurückgeflogen. Wir hatten eigentlich eine große Zeremonie vorbereitet, aber das ist alles ins Wasser gefallen. Der Offizier ist daraufhin strafversetzt worden nach Korea.  

 

Diese Aktion war nicht typisch für einem Soldaten, oder?

An dem DET K, so wie unser Standort am Hohenbogen hieß, wurden Soldaten versetzt, die nicht ganz ins Schema passten. Wir alle wollten unsere Pflicht erfüllen, aber die meisten von uns waren mit dem Krieg im Vietnam nicht einverstanden. 

 

Im Auftrag der Army Security Agency ASA, dem Vorläufer der NSA, waren Sie als Spion für die Überwachung des Warschauer Pakts zuständig. Wie kommt man zu so einem Beruf?

Ich bin 1965 zur Army gegangen. Nach einem Semestern Elektrotechnik an der Uni ist mir das Geld ausgegangen. Dann kam automatische der Musterungsbefehl. Damals war der Höhepunkt des Vietnamkriegs und die Army verschickte Musterungsbriefe an alle, die keine Studenten waren, weil sie Leute fürs Militär brauchten. Die waren sehr schlau. Die normale Verpflichtungszeit war zwei Jahre. Die haben gesagt, du machst ein Bootcamp, gehst zum Kriegstraining nach Kentucky und von Kalifornien aus geht es ein Jahr nach Vietnam. Und wenn dein Arsch nicht weggeschossen wurde, geht’s wieder zurück. Wenn Du Dich aber drei Jahre verpflichtet hast, haben Sie Dir [e1] angeboten, Dein Studium zu finanzieren.

Das klingt für einen Studenten in Geldnot natürlich verlockend.  

Dann sagst Du natürlich, klingt gut, aber ich will auf keinen Fall nach Vietnam. Dann haben Sie gesagt, es gäbe da ganz spezielle Einheiten, wenn Du noch mal ein oder zwei Jahre dranhängst und den entsprechenden IQ-Test bestanden hast, kannst Du auswählen, wohin Du willst. Nach Europa, in die Türkei oder die Philippen. Ich war einer von Hunderten, die darauf reingefallen sind und so bin ich in der ASA gelandet, dem Vorläufer der NSA, die für die Spionage im Kalten Krieg zuständig war.

 

Was hat Sie letztlich in den Bayerischen Wald geführt?

Zuerst war ich in Berlin am Teufelsberg und bin dann nach Herzogenaurach gekommen. Dort war die Zentrale unsere Einheit der 16th. US ASA Fieldstation bei Nürnberg. Ich war dann aber einem Sergeant im Weg, weil ich mit seiner Freundin ein paar Mal ausgegangen bin und sie eingeladen habe, mit mir in St. Johann in Tirol Ski zu fahren. Er hat dann geschaut, mich loszuwerden und so bin ich hier her nach DET K gekommen. Mit einem halben Tag Vorwarnung. An der Grenze zum Eisernen Vorhang gab es solche „DET“-Stationen von Passau bis Hof.

 

Wie sah der erste Arbeitstag aus?  

Ich war damals erst seit vier oder fünf Monaten in Deutschland und kannte die Wörter Bier, Schnitzel, Fräulein und Liebe. Mit meinem sieben Sachen bin ich von Nürnberg aus in den Bayerischen Wald gefahren worden. Erst ging es vorbei an Amberg über Schwandorf nach Cham, es war stockfinster, kein Mensch war auf der Straße. Ich dachte mir, jetzt haben sie mich. In Rimbach brannten zwei Lichter. Es waren die beiden Wirtshäusern. Ich habe meinen Seesack auf die Schulter genommen und bin das Lokal der Silberbauers rein. Ich höre amerikanische Stimmen, schaue um die Ecke. Dort saß ein Offizier und zwei Sergeant. Ich baue mich auf und salutiere. Der Offizier hing nur in seinem Stuhl und lallte, hier ist der Schlüssel, oben ist Dein Zimmer. Das war mein erster Arbeitstag.

 

Beim Wort Spion denkt man schnell an das Bild von James Bond. Wie viel Bond steckte in Ihrem Alltag?

Das war nur ein Traum. Das Klischee hat die Army geschickt ausgenutzt. Bei der ASA arbeite man als Spion. Tatsache ist, unter den Leuten, die sich für acht Jahre verpflichtet haben, hat die Hälfte auch danach einen Posten bei der NSA und der CIA übernommen. Sie sind keine James Bonds, sondern Spione der klassischen Art.

 

Was ist ein Spion der klassischen Art?

Die Aufgabe eines Spions ist es, über mögliche Gegner, aber auch über Freunde Informationen zu sammeln. Das hat man uns von Anfang an eingebläut, dass das unsere Aufgabe ist. Ein Kollege hat später für die NSA gearbeitet. Er spricht perfekt Tschechisch, Russisch und Finnisch. Über Finnland ist er nach Russland. Das war in den 70er-Jahren. Im Winter hat er wochenlang in einer Station in Murmansk ausgeharrt. Dort war ein Hafen, über den die gesamte Erz und Uran-Vorkommen transportiert worden. Wenn man weiß, wie viel Erz in einem Waggon ist, dann kann man hochrechnen, wie viel Uran dem Gegner zur Verfügung steht und wie viele Bomben sich daraus bauen lassen. Es war das einzige Vorkommen in Russland.

 

Wie sah ein typischer Arbeitstag für Sie am Hohenbogen aus?

Ich war das Mädchen für alles. Ich war dafür zuständig, dass die Generatoren, die Fernschreiber, die Antennen und die Kaffeemaschinen der Militär Polizei funktionieren. Electronic-Warfare-Equipment-Repairment hieß das. Ich war am längsten in „DET K“. Von Sommer 1967 bis Oktober 1969. Die Kollegen, die viele Fremdsprache gesprochen haben, darunter Tschechisch, Russisch, Polnisch oder Deutsch, haben Informationen vom Warschauer Pakt abhört und dies in Stichwörter übersetzt. Diese wurden auf Tonbänder kopiert mit kleinen Notizen. Von Interesse waren neue Panzertypen, die Bewegungen von Versorgungstrupps oder die Familienstreitigkeiten von Kommandeuren.

 

Was ist abgehört worden?

Alles. Wir haben auch mit Wanzen gearbeitet. Über die Antennen konnten wir vom Telefon, über den Taxi-Funk bis zum Flugverkehr alles abhören. Dabei haben wir alles im Warschauer Pakt abgehört und Deutschland. Das ist aber ein anderes Kapitel. Auf der anderen Seite der Grenze gab es bei Pilsen ein großes Manövergebiet vom Warschauer Pakt, das unseren Standorten in Grafenwöhr entsprach. Jedes Jahr wurden hier Übungen abgehalten. Für uns war es interessant, wie die militärischen Einheiten gebildet wurden. Wie viele Panzerkompanien zählen zu einer Einheit? Wie viele Panzer sind in einer Infanteriedivision? Wie ist die Reichweite der Fahrzeuge?

 

Was ist mit den Notizen dann passiert?

Diese Information ist zusammengefasst worden und sie sollten nach der Chain of Command der NATO eigentlich nach Brüssel gehen. Aber das war nicht der Fall. Am Hohenbogen gab es eine kleine Hütte mit zwei Fernschreiber, die mit einem Mann besetzt war. Er hat hier Top-Secret-Crypto-Nachrichten verschickt.

Wie heiß war der Kalte Krieg am Hohenbogen?

Drei Tage vor dem Prager Frühling registrierten wir das viele Truppen des Warschauer Pakts in Tschechien zusammengezogen wurden. Wir haben uns gefragt, wieso die DDR sein Militär an die tschechische Grenze verlegt. Auch die Ungarn und die Rumänen kamen von Süden her. Die Alarmstufe 1 wurde ausgelöst. Die Annahme war, dass ein Angriff auf die NATO bevorsteht. Am zweiten Tag vor der Invasion haben sich russische Fallschirmjäger auf den Flugplätzen der DDR versammelt. Wir dachten uns, jetzt wird es heiß. Wir haben unsere Uniform mit ziviler Kleidung austauschen müssen und unsere militärischen Ausweise abgegeben müssen. Dann habe ich auf Anordnung des Lieutenant nach Rimbach fahren müssen, um mitzuhelfen die Station zur Sprengung vorzubereiten, vor allem die hochgeheimen Anlagen. Alle DETs haben diesen Befehl bekommen. Im Ernstfall sollte alles auf der Station vernichtet werden und wir sollten uns nach Karlsruhe schleichen. Ohne Ausweis.

Zum Dritten Weltkrieg ist es dann aber glücklicherweise nicht gekommen.

Zwei Sachen sind uns ohnehin spanisch vorgekommen. Wieso machen die das alles ohne codierte Funksprüche? An dem Tag der Invasion hieß es: Charlie komm wieder zum Betrieb zurück. Die Russen haben Informationen auf unterschiedliche Weise durchsickern lassen, dass sie nur Tschechien im Visier haben.

 

Sie leben nun seit mehr als 50 Jahren hier in Rimbach, wo sie nach ihrem Einsatz eine neue Heimat gefunden haben. War die Zeit in DET K also doch mehr Segen als Strafe?

Die Leute, die hier waren, haben drei Phasen durchgemacht. Erst war die Stellung am Hohenbogen der Mittelpunkt der Erde. Nach einigen Wochen hast Du nach links und nach rechts geschaut und Dir gedacht, was ist das für eine schöne Gegend. Einfach herrlich. Dann in der dritten Phase stellt man fest: die Leute sind auch sehr nett. Du hast Freunde gemacht, Leute kennengelernt, teils weiblich. Es war sehr angenehm. Die meisten Leute, die hier waren, sind vor 1968 zwangsweise hierherbeordert worden. Der Lieutnants und Sergeants waren alle nicht so begeistert von der Army. Viele waren nur hier, weil sie nicht nach Vietnam wollten. Ich wurde versetzt an die Grenze. Da habe ich mir gedacht: Ich bin hier draußen, es gibt keine Apelle am Morgen, keiner fragt mich, ob ich mir die Haare geschnitten habe oder die Uniform passt. Und ich kriege sogar Geld dafür. Ich habe 65 Mark am Tag bekommen; zusätzlich zu meinem Lohn. Damals hat das Bier hat damals 90 Pfennig gekostet. Drei Mark hast Du für ein Mittagessen bezahlt. Da dachte ich mir: Oha. Ich bin hier ja auf dem Paradies auf Erden. Ich muss nur schauen, dass ich nicht zurückgeschickt werde nach Herzogenaurach.

 

Es gab aber auch die Seite der Einheimischen, die auf das abgesperrte Militärgebiet geblickt haben, das unter Geheimhaltung stand. Gab es da nicht viele Gerüchte?

Bekannt war, dass die oben Informationen sammeln über den Warschauer Pakt. Wenn sich eine Person näher über unsere Arbeit erkundigt hat, waren wir dazu verpflichtet, ihren Namen zu melden. Aber das ist sehr selten wirklich passiert. Die Leute wussten aber schnell, das wir keine normalen Soldaten sind.

 

Was vermissen Sie am meisten am früheren Alltag bei „DET K“?

Es war eine abenteuerliche Zeit. Die Armee vermisse ich aber gewiss nicht. Mein Vater war Berufsoffizier, ich kenne das Militär von innen und außen. Das Militär war 100 Prozent sicher, dass ich lebenslänglich beim Militär bleibe und ein sogenannter „Lifer“ werde. Mir hat man dann vorgeschlagen, ich dürfte eine Gruppe von technischen Offizieren aufbauen und Karriere machen. Ich habe das ganz zum Schluss abgelehnt und habe mich entschieden in Rimbach zu bleiben. Dort habe ich später eine Familie gegründet und ich habe in anderen technischen Berufen gearbeitet. Mir war die lockere Art der Bevölkerung sehr symphatisch, fand die Gegend wunderschön und vor allem habe ich eine Frau fürs Leben gefunden. Mit ihr habe ich eine Familie gegründet.

Inzwischen ist die NATO-Abhöranlage nicht mehr in Betrieb und die Frage offen, wie das Gelände künftig genutzt werden soll. Was sollte damit geschehen?

Ich finde, die Türme sind ein schöner Nachlass für die Leute in Deutschland, um darüber nachzudenken, dass es einen kalten Krieg gegeben hat, der manchmal viel heißer war, als manche geglaubt haben. Und es ein Anlass darüber nachzudenken, dass Freiheit nicht kostenlos ist. Freiheit muss verteidigt werden. Es darf nicht aufgezwungen oder propagiert werden. Unser Way of Live, unser Lebensstil, muss verteidigt werden. Sonst wird jemand kommen und Dir das wegnehmen. Das ist sicher. Dazu muss man nur die Geschichte anschauen.