Die dunkle Unterwelt der „Roten Manna“

Text: Michael Gruber

Foto: Martina Dobrusky

 

Martin Schreiner (69) ist als Sohn einer Bergarbeiterfamilie mit dem Silberbergwerk aufgewachsen. Als Mitbegründer des Museums erzählt der heutige Rentner von einem „Wunderberg“ in Bodenmais.

 

 

Welche Rolle spielte das Bergwerk in ihrem Leben?

Das Bergwerk ist erst 1962 stillgelegt worden. Ich habe es noch erlebt, als das Bergwerk in Betrieb war. Wir haben unserem Vater das Essen gebracht als Kinder. Er war oben in der Hütte und an verschiedenen Stellen in den Stollen im Einsatz. Der Bergbau ist bei uns eine Familientradition, die von mütterlicher Seite bis ins Jahr 1748 zurückreicht. Mein Vater stammt aus einer Familie bei Heitzelsberg hinter Viechtach. Unter den Vorfahren waren vier Brüder, die dort im Jahr 1890 eine große Schmiede hatten. Weil sie die nicht mehr halten konnten, sind sie nach Bodenmais abgewandert und haben das Schmiedehandwerk fürs Bergwerk betrieben haben.  Das Bergwerk hat zudem ein E-Werk betrieben, dort habe ich als Elektriker angefangen.

 

Wie muss man sich den Alltag eines Bergarbeiters im Bayerischen Wald vorstellen?

Es war eine dreckige Arbeit. Hier oben ist der Erzstaub sehr fein, er ist teilweise glänzend. Wenn die Minenarbeiter rausgekommen sind, haben sie geglänzt wie ein Christbaum. Die meisten Bergleute haben daheim in eigener Stube geschlafen, weil sie den roten und schwarzen Dreck nicht weggebracht haben. Die roten Manna, das Wahrzeichen am Ortseingang von Bodenmais, gehen auf das Polierrot zurück. Es wurde zum Färben von Leder benutzt, oder von anderen Stoffen, das bringst Du nicht mehr raus. Wenn du ein weißes Hemd anlegst, hat es vier oder fünf Wochen später noch einen schwarzen oder roten Rand bekommen. Erst nach dem Krieg gab es Waschgelegenheiten in der Aufbereitung, da wo heute die Talstation des Liftes ist.

 

Hat der Name Silberberg gar nichts mit Silber zu tun?    

Ganz am Anfang ging es um den Abbau von Silber. Im elften Jahrhundert ist das Bergwerk das erste Mal erwähnt. Anfangs ist viel Haldenmaterial mit Eisen angefallen, aber das hat man früher weggeschmissen, weil es bei uns sehr viel Schwefel hat. Dadurch bleibt das Metall brüchig und spröde. Man konnte keinen Pickel und keine Schaufel daraus machen, weil es bricht. 1450 sind Sachsen aus dem Erzgebirge gekommen, und nach Nischenprodukten gesucht. Sie haben die Halden genutzt, um daraus Polierrot zu gewinnen, das für das Schleifen von Glas verwendet wurde, aber auch als Färbemittel für Stoffe und Gerbemittel für Leder. Wenn man den Erzstaub auf ein Fell aufträgt, dann trocknet er das aus und wenn man es verreibt, dann wird das Leder ganz glatt. Ab 1700 war Bodenmais der Weltmarktführer für Polierrot, es wurde in Fässern in die ganze Welt geschickt.

 

Wie gefährlich war die Arbeit in dem Bergwerk?

Im Gegensatz zu Kohlegruben war es weniger gefährlich. Der Felsen ist sehr stabil, man braucht nichts abstützten, es fällt nichts nach. Es sind sehr wenige Unfälle passiert. Ein Stein am Fuß, oder Finger eingezwickt. Es gab nur drei Todesfälle durch Arbeitsunfälle im Bergwerk. Es ist nie etwas eingestürzt, von daher war es sicher. Es war aber eine körperlich sehr schwere Arbeit. Die Steine haben ein spezifisches Gewicht von 7,5 bis 7,8 KG pro Kubikmeter, je nachdem ob wie viel Blei dabei ist. Die Arbeiter haben bis zu 13 bis 14 Tonnen am Tag aufladen müssen. Das ist so, als müsste man die Ladefläche eines Lastwagens komplett mit der Hand beladen. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Die Halden wurden getrennt nach Schwefel, Kupfer. Es wurde Eisenvitriol, also Polierrot oder Kupfervitriol produziert, das sind chemische Zersetzungsprodukte von den Metallen. Es wurde für die Pest auch als Desinfektionsmittel verwendet. Es waren findige Leute, die Nischenprodukte gesucht.

 

Welche Bedeutung hatte das Bergwerk für die Entwicklung von Bodenmais?

Der Ort ist eigentlich durch das Bergwerk entstanden. Im 14. Jahrhundert gab es sehr viele Zuwanderungen aus allen Bergrevieren Europas, was bis heute an den Familiennamen sichtbar ist. Haller von den Hallern aus Osterreich oder Drexler von der ungarischen Seite. Hintergrund ist das Silberbergwerk im österreichischen Schwaz, wo der Landesherr seinen Bergleuten viele Freiheiten gegeben hatte. Wenn jemand etwas ausgefressen hatte, konnte er sich durch die Minenarbeit von der Strafe befreien. Der Landesherr von Schwaz war ein Cousin vom bayerischen Landesherrn, der das auf Bodenmais übertrug. Es hieß damals, wenn jemand etwas ausgefressen hatte, braucht er die nicht absitzen, wenn er hier arbeitet. Es waren aber auch viele Fachleute aus den Bergrevieren dabei, aber die Zusatzarbeiter haben sich aus Lumpen rekrutiert, sie hier in Bodenmais sesshaft geworden sind und ein Haus gebaut haben.

 

Wieso wurde das Bergwerk stillgelegt?

Das Polierrot wurde chemisch hergestellt, das war viel billiger und auch besser vom Umweltgedanken her. In Bodenmais stand die Hütte zur Verarbeitung des Erzes an einem Bach, der heute Rothbach heißt, weil er immer rot war. Von der Verarbeitung ist immer alles in den Bach gelaufen. Der Optikerbetrieb Rodenstock war ein großer Abnehmer. Wenn der seine Maschinen gewaschen hat, dann war der Regen rot bis nach Teisnach. Es war ein großer Umweltverschmutzer, weil es alles Schwermetalle waren. Aber früher hat kein Mensch darauf geschaut. Heute kommt man wieder darauf, dass das Naturprodukt viel besser ist als das chemische Produkt. Die TU Deggendorf hat die Forschung dafür wieder verstärkt. Linus ist ein Ableger von Rodenstock für ganz feine Linsen, die für den Weltraum benutzt werden. Die haben draußen in Deggendorf eine Maschine stehen, mit der sie Polierrot nutzen und wieder regenerieren. Es sind kleine Metallkörner, die für das Schleifen verwendet werden und wiederverwendet werden können. Heute bleibt dann ein halbes Filmdöschen über zum Entsorgen, was früher ein ganzes Fass war.

 

Sie haben die touristische Nachnutzung des Bergwerks mit ins Leben gerufen. Wie ist es dazu gekommen?

In der Mine in Bodenmais waren schon immer Besucher da, selbst als der Betrieb noch lief. Die Abnehmer kamen mit ihren Familien zu Besuch oder auch Studenten. Die Einzigartigkeit des Bergwerks sind die vielen Mineralien, die im Erz drin sind. Über 60 verschiedene Teile sind es, davon über 20 Buntmetalle. Wegen der Einzigartigkeit des Gesteins hat man schon früher im Mittelalter geschrieben vom Wunderberg im Bayerischen Wald mit seinen vielen Mineralien. Dadurch war das immer ein Gedanke, dass man das Bergwerk für die Öffentlichkeit zugänglich macht. 1990 hat der Bayerische Staat Betriebe wie das Berchtesgardener Salzbergwerk, die Saline in Reichenhall oder die Maschinenwerke Weiherhammer oder Sondhofen privatisiert, weil der Staatsbetrieb nicht so gut lief. Im August 1997 haben wir das Bergwerk nach langen Verhandlungen mit der Belegschaft übernommen. Es waren alles Arbeiter, deren Väter schon in der Miene gearbeitet haben. Für die Bergwerkinstandhaltung hat es Leute gebraucht. Ein Spengler, ein Automechaniker, ich als Elektriker, ein Glasschleifer, ein Maurer, so haben wir daraus eine GmbH gemacht.

 

Man kann heute sogar heiraten im Stollen. Wer macht so etwas?

Es sind teilweise Einheimische, die mit dem Silberberg aufgewachsen sind und schon als Kind hier gespielt haben. Andere kommen aus ganz Deutschland hierher, weil sie eine Verbindung zum Bergwerk haben. Weil der Vater oder der Großvater im Bergbau tätig war. Viele sind im Urlaub da und heiraten dann. Wir haben einen sehr schönen Glastisch machen lassen, der beleuchtet ist im dunklen Stollen. Das ist dann recht romantisch. Es ist zwar wahnsinnig kalt, weil es fünf Grad hat, aber es dauert ja nicht lange. Nach 20 Minuten ist das rum. Aber die Paare sind ganz begeistert, weil es ein ganz besonderes Ambiente ist, als heraus oder in der Kirche. Es ist niedrig, kalt, es tropft ein wenig. Es ist einfach anders.

 

 

Es gibt auch einen Therapiestollen. Was ist das?

Es ist für Asthmatiker gedacht und für Leiden an der Bronchie. Wir haben im Bergwerk eine natürliche Belüftung, der Bergmann sagt Bewetterung. Alle Luft kommt von außen in das Bergwerk. Das können Sie sich vorstellen wie ein Ofenrohr. Bei schönem Wetter steigt die kalte Luft auf. Bei schlechtem Wetter drückt die warme Luft von oben rein. Durch den Austausch ist die Luft über den oberen oder unteren Stollen mindestens drei bis vier Kilometer im Berg unterwegs. Dadurch filtert sich die Luft und es gibt keine Allergene mehr und vor allem keine Staubpartikel. Der Anteil liegt bei höchstens 0,02 g pro Kubikmeter, was die Bedingung für den heilklimatischen Aufenthalt ist, der auch von der Krankenkasse bezahlt wird. Die Klinik in Bodenmais ist der Mieter des Heilstollens, es können aber auch externe Gäste kommen.

 

Was ist denn ihr Wunsch für die Zukunft dem Bergwerk?

Ich würde mir wünschen, dass es in der Familie bleibt. Mein Sohn Christoph hat vor sechs Jahren meine Anteile übernommen. Er hat zu mir gesagt, Papa, wenn du aufhörst, mach ich weiter. Er war mit seinem Großvater schon immer hier. Der Hutterer Sepp hat auch zwei Söhne, das wäre schön, wenn sie das auch weiterführen. Auch Herbert Böhm hat zwei Söhne die schon hier beschäftigt sind.